Freitag, 17. Januar 2020
Das Mädchen mit dem Bücherbord wendet sich an einen starken Mann
Das Mädchen ist ganz hübsch. (Ich darf Mädchen gar nicht mehr sagen in diesen Zeiten mit Gender-Stern, aber mir ist das natürlich ganz egal, wie sie in Zukunft an dieser Stelle noch lernen werden, Sie lieber Leser).

Nun, jedenfalls, das Mädchen: ich denke, so 24, ca. 1.65m groß mit dunklen Haaren und stechenden grünen Augen wie meine Katze Tiffany, aber das werde ich erst in einer Weile sehen. Jedenfalls steht sie an der Trambahn-Haltestelle, neben einem wuchtigen weißen Ikea-Bücherbord und sie steht da, als wäre sie soeben dort aus einem 1930er-Jahre-Cargo-Lorry abgesetzt worden. Oder wie bestellt und nicht abgeholt. Auf jeden Fall ausgesetzt. Egal.

Ich weiß, was gleich folgt: der um Hilfe schon stillschweigend vorab bittende suchende Hundeblick. Ich kenne das noch von Gleisgeschichten mit Frauen/Mädchen aus meiner Zeit bei der Bundeswehr Ende der 1990er, vor allem, wenn ich in Uniform unterwegs war, aber das nur am Rande.

Jedenfalls: der Hundeblick! Eins, zwei, drei, vier...kurz rübergeguckt und...da ist er schon. Sie steht ca. 3m von mir entfernt, mein Blick wird auch direkt apportiert von ihr und so kommt sie doch etwas gebückt-gewundener, als sie das bei ihrer Erscheinung eigentlich müsste, auf mich zu, und fragt mich:

''Entschuldigung, Sie fahre nicht zufällig mit der 1 bis Beethovenplatz?''

''Nein, leider nicht. Ich muss in die 9, habe gleich einen Termin. Oder fährt die zufällig auch dort lang?''

''Ja nee, macht ja nichts. Oder...könnten Sie mir eventuell zumindest helfen, das Bücherbord für mich in die 1 zu stellen? Ich finde dann schon irgendwen, der mir ab da weiterhilft.''

''Klar. Was hast du denn da für ein Regal?''.

''Das habe ich über ebay Kleinanzeigen gefunden und jetzt abgeholt. Aber es war in echt doppelt so groß, wie es auf dem Photo erschien. Ja, und mein Freund...''

Sie schweigt abrupt, entweder, weil sie möchte, dass ich jetzt in den Nachhall hineinfrage: ''Dein Freund...?'' oder weil sie merkt, dass die Erwähnung eines Partners meine Hilfsbereitschaft irgendwie einschränken könnte. Die Gefahr besteht zwar nicht, aber das kann sie ja nicht wissen. Oder?! Oder denkt da ein Teil von mir: ''Boy, I smell an opportunity here?''. Mag sein, auch das, aber ich bin ja auch keine 25 mehr und außerdem habe ich einen Termin und jetzt so völlig in meiner morgendlichen Verstocktheit schon flirtatious tätig zu sein: oh nee, lass mal.

Stattdessen also reden wir weiter, dies nun irgendwie doch schon als Vorwand, meinerseits zum Überbrücken der awkward Wartezeit, bis die Tram eintrifft, ihrerseits wahrscheinlich auch das und um mir mein Hilfsangebot zu versüßen (ich komme jetzt bitte nicht schon in das Alter, wo ich die süße Art junger Frauen bloß als Mittel zum Zweck auffasse, nicht als bloßen Opportunismus). Sie hat eine ziemlich vorausdefensive Art, sich in allen mit dem Schrank zusammenhängenden Dingen um Kopf und Kragen zu reden, als hätte ich ihr Vorwürfe gemacht, dass sie den Schrank erstanden hat. Sie verweist auf ein Loch an der Außenwand des Trumms, erwähnt stolz, dass sie den Kaufpreis von 10 Euro noch auf 7 runtergehandelt hat an der Wohnungstür des Anbieters, schildert mir, was sie mit dem Schrank anstellen, wo sie ihn aufstellen wird und dass sie (sie sagt erst ''wir'' und zuckt dann so abrupt, als habe sie einen heißen Teelöffel auf der Zunge gehabt), solche Schränke ja ohnehin so billig ersteht, weil sie bald wieder umzieht und da nicht viel mitschleppen will. Das alles vorgetragen innerhalb einer Minute.

Sie siezt mich weiter konsequent durch, ich bleibe beim Berliner Du, auch wenn ich das ''Sie'' sonst auch deutlich bevorzuge, wenn vermeintliche Autoritäten, Firmen oder sonstwer mich anbiedernd in die Sümpfe des schnellen ''Du'' ziehen wollen. Auf einem Nebenpfad in meinem Hirn erklingt dauernd die Tonspur: ''Nächstes Mal ziehst du nicht deine alte Vintage-Uniformjacke von der Deutschen Bahnpost von 1963 an!'', denn ansonsten bin ich Anfang 40 und sehe zu guten Teilen immer noch ganz frisch aus. Als Mann in meinem Alter muss ich darauf bestehen. Das müssen Frauen auch, dies nur mal in Parenthese gesagt.

Jedenfalls bin ich ganz froh, um zur Situation zurückzukommen, dass ich einen Termin habe und derart in meiner Freiheit eingeschränkt bin und diese kleine flirtive Geschichte nun mit dem Eintreffen der Linie 1 endet. Sie macht eine deutlich willige Geste, mit anzufassen, da schnappe ich mir das Teil schon und lege es über meine rechte Schulter and it's off to the races...hinter mir höre ich ein lautstarkes ''Oh Nein!!'' ihrerseits, das sich extrem niedlich anhört in der koketten Mitte zwischen Bedauern, Freude und Bewunderung und die stillschweigende temporäre Zwecksymbiose des Alltages zwischen Mann und Frau (klassisch, mein Blog ist heteronormativ, wie Sie noch leidlich erfahren werden müssen, lieber Leser wieder).

War ja ganz schön jetzt, sich vor einem öden Termin im bürokratischen Bleigrau noch mal für 2-3min als strahlender Held darstellen zu können in der durchschaubaren Prekarität der Dauer dieser Rolle. Außerdem fährt der Held ja nicht mit der Linie 1 bis Beethovenplatz und schultert dort nicht, so wie mein Tagtraum auf der Rückfahrt vom Termin später weitergeht, beim Ausstieg die Frau auf der rechten Schulter wie King Kong und schleppt sie in ihre Wohnung, sondern fährt allein heim mit Wilhelm Genazinos ''Abschaffel'' in der Hand. Wobei ich auch denke: das wäre ein schöner Scherz gewesen, als die 1 eintraf, aus Spaß erstmal das Mädchen zu schnappen und sich über die Schulter zu werfen, sie dann wieder abzustellen am Gleis und ihr ins Gesicht lachend zu sagen: ''Just kidding!'' und dann trocken das Regal in die Bahn zu tragen für sie.

Geduzt hat sie mich bis zuletzt nicht. Aber wir sprachen ja auch nur, unverdächtig zweckgebunden, für 3-4 Minuten.

Ich empfehle mich weiter, bis Sie mal wieder von mir lesen wollen oder, wenn nicht, dann dennoch Ihr...

David Leipziger

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